Chatten und Telefonieren übers Internet sind schon sehr wundersame Dinge. Sie erzeugen eine seltsame Illusion von “Nähe”, hört man seinen “Gegenüber” doch so vertraut wie eh und je… Erst wenn man dann mal genauer hinschaut bzw. den Verstand einschaltet, merkt man, was alles an (geografischer) Distanz zwischen den Gesprächspartnern liegen kann. Die “gefühlte Distanz” beträgt häufig “nur gleich um die Ecke”, tatsächlich befindet sich der “Gegenüber” aber “auf der anderen Seite der Erde”. Tja, so ist das eben mit den Entfernungen in der digitalen Welt…
Nachfolgend mehr über die Tücken der Technik, den Unterschied zwischen “innerer” und “äußerer” Welt sowie die Erörterung der Frage, was das Tolle daran ist, “den Boden unter den Füßen zu verlieren”.

Das Internet macht vieles möglich. Unter anderem, dass ihr diese Zeilen innerhalb von Sekunden überall auf der Welt lesen könnt. Das ist schön, und das ist das Unglaubliche am Internet. Denn obwohl ich gerade in Sydney sitze, könnte ich genausogut an jedem anderen Fleck unseres tollen Planeten sein, es würde niemand merken.

Auch chatten, skypen und emailen machen es möglich, dass ich innerhalb von Sekunden weiß, wie es meinen Freunden, meiner Familie und allen anderen ans Internet angeschlossenen Menschen (in diesem Moment) geht. Doch wie geht es mir eigentlich? Gut? Sehr gut? Könnte besser sein? Das versuche ich gerade herauszufinden…

Prinzipiell muss ich erstmal festhalten, dass körperliches bzw. geistiges Wohlbefinden nur bedingt von der geografischen Lage abhängen. Und das hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt, obwohl ich es besser wissen könnte. Natürlich ist das Wetter an einigen Orten “besser”, als an anderen. Durch besseres Wetter, wobei ich gutes Wetter als sonnig und wenig Regen definiere, ergeben sich natürlich mehr Möglichkeiten, sich mit einem Ort auseinanderzusetzen, als wenn ich (wetterbedingt) drin sitzen muss…

Ich bin eigentlich mit der Erwartung nach Australien ausgeflogen, einen weiteren Kontinent, einen weiteren Teil unseres Planeten kennenzulernen. Ich hatte irgendwie die Erwartung, dass hier “alles anders” sei, als das mir Bekannte. Ich hatte mit einem Kulturschock gerechnet; ja ich glaube ich habe sogar auf einen Kulturschock gehofft.

Ich wollte etwas erleben, dass das “Fundament meiner Selbstverständlichkeiten” erschüttert, mich zur Neuorientierung zwingt und dadurch Platz für neue Eindrücke schafft. Vor allem aber wollte ich meine Erfahrungen [aus Südamerika] bestätigen bzw. verifizieren, dass ein “anderes Leben” möglich, manchmal auch nötig ist.

Ein Kulturschock macht es nötig, dass man den eigenen Lebensstil, eigene Erfahrungen und eigene Selbstverständlichkeiten in Frage stellt. Natürlich ist ein Kulturschock auch stressig, weil man das Gefühl hat, “den Boden unter den Füßen zu verlieren” und alles Vertraute in Frage stellen muss. Die “innere (emotionale) Welt”
und die “äußere Welt” (Umwelt) sind beim Kulturschock kurzzeitig im Ungleichgewicht. Alles riecht anders, die Autos fahren auf der anderen Seite, es gibt anderes Essen, die Leute sehen anders aus, ich bezahle mit anderem Geld, die Leute leben auf der Straße/in Ghettos/ in riesigen Villen/ unter Brücken, ich höre andere Sprache(n)…

Wenn man den ersten Schock allerdings überstanden hat, kann man anfangen, sich neu zu orientieren. Man kann neue Erfahrungen machen und sie in das alte, aufgebrochene Gefüge einordnen: Neuorientierung, Umorientierung.

Nach und nach wird man feststellen, dass sich doch immer wieder Verknüpfungen zu alten, bekannten Dingen ziehen lassen- egal wie fremd die neuen Erfahrungen sind. Diese Bestätigung/Erfahrung, dass man selbst im Fremden Vertrautes finden kann, geben wiederum die nötige Kraft (und wecken Appetit darauf), sich auf mehr Fremdes einzulassen.

So wird man feststellen, dass man auch in der Fremde die nötige Stabilität finden kann, um weiterzumachen. Und so werden mit der Zeit immermehr neue, unbekannte Erfahrungen vertraut und bekannt. Aber so ist es ja eigentlich immer, wenn man etwas neues im Leben (kennen-)lernt; egal in welchem Bereich.

Jetzt aber wieder zurück zu meiner Ausgangsfrage: wie geht es mir eigentlich? Und die Antwort: es geht mir gut, soweit. ;)
Ich lasse es mir hier in Australien gut gehen. Ich gehe brav zu meinem Praktikum, so wie es sich gehört. Ich habe meine Aufgabe, nämlich die Produktion der Jingles und Station-IDs und diese Aufgabe erfülle ich, hoffentlich zur Zufriedenheit aller. Bisher habe ich zumindest nur positives Feedback bekommen.

Neben dem Praktikum mache ich das, was ich auch in Leipzig oder in Lima immer gemacht habe. Ich gehe einkaufen, muss kochen, mache Sport, fahre zum Strand und lese Zeitung. Es geht mir also gut. ABER: ich mache eben keine Erfahrungen, die meine “innere emotionale Welt” aufbrechen und ich habe nicht das Gefühl, “den Boden unter den Füßen zu verlieren”.

Alles hier ist so seltsam vertraut. Wenn ich durch die Straßen Sydneys laufe, fühle ich mich wie in London. Ich gehe über die [King] George Street, am Queen Victoria Building vorbei zum Botanischen Garten. Alles sehr schön, aber eben nicht sonderlich horizonterweiternd für mein Gehirn.

Auch die Leute in den Straßen sehen alle europäisch aus und sprechen Englisch. Na gut,
es gibt auch eine Menge Asiaten in Sydney, die das Stadtbild mitprägen- aber das ist schon der einzige Unterschied zu Europa.

Wo sind die ganzen Aborigines hin, die seit 20.000 Jahren hier leben? Wo ist das Ursprüngliche dieses Kontinents? Wo ist die “Überdosis Input” für mein Gehirn? Ich warte noch drauf…

Also, ich hoffe, ich konnte hiermit klarmachen, dass es mir weiterhin bestens in Australien geht. Aber ich denke man sieht auch, dass ich mir (in bestimmten Bereichen) mehr versprochen/vorgestellt habe. Ich nehme aber an, dass das noch kommen wird- vor allem wenn ich mein Praktikum beendet habe und dann ein wenig mehr dieses fünften Kontinents kennenlernen kann.

Ich freue mich vor allem auf die unberührte Natur, das klare Wasser des Great Barrier Reefs und weite Landschaften im Outback. Und wer weiß, vielleicht habe ich ja das Glück, ein paar Aborigines zu treffen und mit ihnen eine Runde Didjeridoo zu spielen… you never know!

In diesem Sinne viele Grüße in die weite Welt!

2 Responses to “Es geht mir gut; es geht mir sehr, sehr gut!”

  1. on 25 Nov 2006 at 03:35Jana

    will das persönlich von dir hören, was du so philosophierst… also lass ich das lesen jetzt mal und hoffe, dich bald ma wieder zu sprechen. hab marcel zu besuch :), der übrigens sylvester in sydney ist, und deswegen grad ne ziemlich eingeschränkte wahrnehmung der aussenwelt. denk aber, dass ich so in zwei wochen wieder gedanklich frei bin. ich ruf dich dann wohl einfach mal an.
    ganz liebe grüße um den globus, Jana.

  2. on 27 Jan 2007 at 00:07Lydia

    Hola Yannick!
    Soy Lydia, la mama de Diego Hernandez, del Humboldt/ Lima.
    Diego me comento de tu pagina, la estuve revisando, te felicito, personal e informativa…
    Sabes que vivimos hace un tiempo en Vietnam por razones de trabajo de mi esposo, mi hija menor esta pensando seriamente hacer su Uni en Australia, si tienes un tiempito me encantaria conectarte con ella.

    Muchos saludos!

    Lydia